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AutorenbildChristian

Privattraining Berlin Februar 2023

Hi! Mein Name ist Christian und ich bin ein begeisterter Jiu-Jitsu Nerd aus Leipzig. Obwohl ich in einem BJJ Gym in Leipzig trainiere, bin ich Schüler unter Rodrigo Fernandes (2nd degree Blackbelt und Headcoach des BJJ Dojo Berlin). Jeden Monat fahre ich von Leipzig nach Berlin, um von ihm zu lernen und jedes Mal ein bisschen besser zu werden in dem Sport der mich so fasziniert. Und da keine Reise nach Berlin ohne skurrile Geschehnisse vergeht, findest Du hier meinen BJJ Reiseblog. Viel Spaß!


Heutiges Thema: Halfguard

Heute ist es endlich soweit! Es geht nach Berlin zum Privatttraining zu Rodrigo. Es ist wieder die Phase, wo ich mir vorkomme von Training zu Training immer schlechter zu werden. Es funktioniert gefühlt nichts mehr aus der Guard, kaum noch sweeps und an Submissions ist gar nicht zu denken. Ich habe meinen Bluebelt damals von einem anderen Coach aus Leipzig bekommen. Und seitdem ich Schüler von Rodrigo bin, ist mir bewusst dass mir viele Grundlagen schlichtweg fehlen. Deswegen hatte ich ihn gebeten mit mir dieses Jahr Halfguard noch einmal von Grund auf durchzugehen. Denn eins ist sicher: Ich liebe Halfguard! Auf der zwei bis dreistündigen Fahrt ist viel Zeit zum Reflektieren und Nachdenken. Ich mache das Radio aus, um laut zu denken. Was möchte ich ihn genau fragen? Sollte ich mir angewöhnen Halfguard auf meiner linken Seite zu spielen? Alles wieder "neu" lernen und den taktischen Vorteil ausnutzen, dass nicht so viele nach rechts passen? Das würde Monate Quälerei bedeuten bevor ich einen signifikanten Unterschied feststellen würde. Und ist das wirklich ein so großer Vorteil? Craig Jones, ja. Aber wer noch? Ist es wirklich besser, oder ist es nur Craig der sich da ein ganzes System herum erarbeitet hat? Ich komme wieder von der Idee ab Rodrigo diese Frage zu stellen. Ich bin fest entschlossen. Ich will dass man meine Halfguard fürchtet. Und dafür möchte ich noch einmal ganz von vorn beginnen und jedes noch so kleine Detail darüber lernen.


Stau, Klimakleber & Bananen

Es sind 182 km von Leipzig nach Berlin. Laut Navi brauche ich 1:56h von zu Hause bis zum BJJ Dojo, aber es vergeht kein Tag ohne Stau oder Baustellen. In den letzten Jahren waren es real zwischen 1:45h und 3:15h. So sehr wie ich das Training in Berlin genieße, der Verkehr ist grausam. Kaum eine halbe Stunde auf der Autobahn, schon sehe ich rote Bremslichter. Prima, denke ich mir. Gut, dass ich 45min Puffer eingeplant habe. Kurz vor Berlin wird der Verkehr immer dichter und dann erneut Stau. Ich schreibe Rodrigo besser eine Nachricht.

Wird ca. 15min später, ich stehe schon im zweiten Stau :(

Klimaaktivisten demonstrieren wieder und ich muss mit der Kirche ums Dorf fahren. Beim Blick auf die Uhr wird mir bewusst, dass ich noch nichts gegessen habe. Mein ursprünglicher Plan vor dem Training noch schnell in den Supermarkt zu gehen, eine Banane zu essen und was zu trinken war dahin.


Privattraining, shark tank

Ich bin endlich angekommen und habe völlig überraschend innerhalb von zwei Minuten einen Parkplatz gefunden (Rekord!). Durch die Tür, direkt umziehen und ab auf die Matte wo mich zwei Blackbelts begrüßen. Rodrigo selbst und Martino von dem ich schon letzten Monat einige sehr interessante Dinge über Turtle Top gelernt habe. Kurz warm machen und los gehts mit Halfguard - dachte ich. Stattdessen 10 min Sparring mit Martino und Rodrigo, ohne Pause. Mega cool und super anstrengend. Mit jeder Minute mehr zeigt sich meine schlechte Ausdauer und einige sehr schlechte Angewohnheiten, wie ihr Feedback zeigte:

Eine Katastrophe!

Der Satz traf mich hart, aber wirklich überrascht hat es mich leider nicht. Mein Wrestle Up ist in der Tat schlecht. Ich verfalle oft darin zu passiv zu sein und lieber von meinem Rücken aus zu kämpfen. Das funktioniert nur leider gegen zwei Blackbelts dieses Kalibers nicht. Jiu-Jitsu ist gnadenlos. Wenn du keine Arbeit hinein investierst, zeigt sich das 1:1 auf der Matte. Es gibt keine Abkürzung, kein Wundermittel, kein Cheat Code. Nur dich und die Stunden, die du effektiv daran arbeitest an deinen Stärken und Schwächen zu arbeiten. Und so zerschmetternd das Feedback der beiden auch war, desto glücklicher bin ich zu wissen woran ich die nächsten Monate arbeiten muss.


Danach ging es endlich los mit Halfguard. Wir sind Vor- und Nachteile von High und Low Knee Shield und verschiedene Reaktionen des Gegners durchgegangen. Rodrigo demonstrierte mir wieder Mal, weshalb man sich in seiner Guard so instabil fühlt und nie Zeit hat auch nur ans Passen zu denken. Ständiges push & pull um das Gleichgewicht des Gegners zu brechen und Bewegungen zu provozieren. Ein unglaublich komplexes Konzept was sehr viel Feingefühl erfordert. Meiner Meinung nach ist "Kuzushi", wie es John Danaher nennt, DAS entscheidende Detail was eine Weltklasse Guard von einer gewöhnlichen Guard unterscheidet. Gleichgewichtsbrechung, Underhook, Kopfposition und plötzlich.. Butterfly Halfguard und Sweep!? Das hatte ich nicht kommen sehen und musste innerlich grinsen.

connecting the dots

Es gibt zwei Dinge im BJJ die ich liebe: Half Guard und Hook Sweeps. Butterfly Halfguard ist demnach eine Kombination von den zwei Dingen, die ich am liebsten mache. Rodrigo nennt das "connecting the dots". Wirklich ernsthaft mit Butterfly Halfguard experimentiert hatte ich bislang aber noch nie. Warum? Keine Ahnung. Vermutlich ohne es zu merken, hat Rodrigo in diesem Moment ein neues Feuer in mir entfacht.


Ganz im Sinne des Reverse Engineering haben wir abschließend Szenarien durchgespielt, bei denen der Gegner mein Knee Shield bereits passiert und Oberkörperkontrolle etabliert hat. Ich nenne das liebevoll "Half Passed vs Half Guard". Kein Knee Shield mehr und mein Gegner hat Underhook und Crossface - es ist nur noch eine Frage der Zeit bis ich gepasst werde. Und auch hier zeigt sich wieder die Liebe zum Detail. Kurze Bewegung um das Gleichgewicht kurz zu stören, Frames, push & pull und ehe man sich versieht landet man wieder im Butterfly Sweep oder in Leg Entanglements. In Rodrigos Guard fühle ich mich immer wie zu meiner ersten Surf-Stunde. Kaum denke ich dass ich stabil stehe, schon falle ich ins Wasser. Das will ich eines Tages auch können!

Die Matte füllt sich langsam mit Kindern und Jugendlichen, das Privattraining ist vorbei. Mein Kopf qualmt vom Input.


Kids & Teens Klasse

Nach meiner Privatstunde darf ich immer noch an den nachfolgenden Einheiten teilnehmen, was ich sehr zu schätzen weiß und auch jedes Mal fleißig nutze. Jetzt heißt es also: NoGi Kinder und Jugendliche. Oder wie ich sie heimlich nenne "kleine Monster". Sie sehen eine Technik aus meinem Privattraining und eine Stunde später probieren sie diese Technik ohne sie einmal geübt zu haben im Sparring gegen mich aus, mit einer Selbstverständlichkeit und Präzision die ihresgleichen sucht. Es fasziniert mich wie schnell diese Kinder lernen und macht mir einfach nur Angst vor dem was aus ihnen werden kann.

Schubsen und Ziehen

Zur Erwärmung macht Rodrigo ein kleines Spiel. Er schubst und wir sollen nicht nach hinten umfallen. Er zieht und wir sollen nicht nach vorn fallen. Alles nur durch Körpergefühl und dynamischer Hüftmobilität. Ich erkenne zwar einige Bewegungsmuster vom letzten Privattraining wieder, falle aber trotzdem um wie die Kids. Definitiv etwas was ich drillen sollte. Danach schult Rodrigo die Kids bzgl. 3 Sekunden Regel. Punkte gibt es nur dann, wenn die Position danach für mindestens 3 Sekunden stabil gehalten wird. Bis dahin sollte um jeden cm gekämpft werden. Jetzt wo ich es aufschreibe fällt mir erst auf, dass das genau das ist was mir Rodrigo und Martino als Feedback gegeben haben. Keine Position akzeptieren, proaktiver sein, wrestle up! Die nächste Einheit steht an.


NoGi Erwachsene - Drills

Heute sind nur wenig Leute zur NoGi Klasse da. Offenbar ist der Großteil auf einer Demo, aber einige sind doch gekommen. Ich geselle mich zu einer Gruppe von Rodrigos Schülern, die X-Guard drillen. X-Guard oder Reverse X-Guard, die verschiedenen Fußpositionen können manchmal sehr verwirrend sein. Ich nutze beide Guards selbst relativ häufig und kann mit ein paar Eselsbrücken helfen die beiden sehr ähnlichen Positionen zu unterscheiden. Rodrigo kommt dazu und korrigiert kurz unsere Fußposition.

Den Fuß nicht in die Hüfte setzen

Hatte ich schon erwähnt, dass kein Besuch im BJJ Dojo vergeht ohne einen AHA!-Effekt? Heute waren es einfach zu viele davon. Ich ändere meine Fußposition so wie es Rodrigo zuvor gezeigt hatte und ich muss schon wieder innerlich grinsen. Wow. Was für ein Unterschied. Ich hatte schon immer Probleme mit dem X-Guard Sweep gegen größere, schwerere Gegner weil ich nicht genügend Kraft aufbauen konnte sie nach hinten zu bewegen. Mit Rodrigos Tipp änderte sich die Mechanik des Sweeps komplett. Der perfekte Abschluss für den Tag! Der Mattenrand füllt sich langsam mit Leuten, die Gi Klasse beginnt.


Gi Klasse, Notizen machen

Mit dem Beginn der Gi Klasse endet mein Training für heute. Ich nutze die Zeit der Gi Klasse um mich etwas abzudehnen und auf der Bank langsam runter zu kommen und Notizen zu machen, während ich dem Training zuschaue. WhatsApp hat jetzt diese Funktion, wo man sich selbst schreiben kann. Super praktisch, um so viele Details aufzuschreiben wie möglich. Ich fange an zu schreiben so wie mir die Dinge in den Sinn kommen, durcheinander und ohne Bezug. Dann fallen mir immer mehr Details zu einzelnen Punkten ein, antworte auf meine eigenen Nachrichten und verfeinere meine Notizen damit immer mehr. Ich rekapituliere so lange bis ich schließlich kapitulieren muss, weil es einfach zu viel war heute. Rodrigo wiederholt noch einmal was wir alles durchgegangen sind, damit ich auch ja nichts vergesse. Ich will so viel wie möglich von meinen Besuchen bei Rodrigo mitnehmen. Und je detaillierter ich die gelernten Dinge aufschreibe, desto besser verstehe ich meine Notizen wenn ich in ein oder zwei Jahren noch einmal nachschlagen will.

Ich ziehe mich um, bedanke mich fürs Training und bin endlich bereit für meine wohl verdiente Banane!


Drama im Supermarkt

Immernoch in Gedanken an all das Gelernte von heute in den Supermarkt gleich nebenan. Es ist schon zur Routine geworden. Reingehen, links zu den Bananen, nächster Gang zu den Getränken und ab zur Kasse. Ich verspüre einen unglaublichen Appetit auf Tonic Water. Etwas was ich eigentlich so gut wie nie trinke. Aber wenn der Körper danach schreit, kriegt er es auch. "Erfrischend trocken" und "verlockend fruchtig" steht auf den Flaschen. Ich bin überzeugt. Also ab zur Kasse. Ich nehme die augenscheinlich kürzeste Schlange. Es geht nicht vorwärts. Die anderen beiden Kassen arbeiten in Lichtgeschwindigkeit, meine in Slow Motion. Ich scheine instinktiv immer die langsamste Schlange zu nehmen. Ich wechsle die Schlange als sich plötzlich zwei Leute gegenseitig anschreien.

Ich rufe die Polizei und dann kommst du ins Gefängnis!

Oha! Drama im Supermarkt. Ein Kassierer streitet sich lauthals mit einem Kunden und droht mit der Polizei bis die beiden vom Supermarkt-Personal getrennt werden. Kurze Zeit später spricht ein Angestellter in Ruhe mit dem Kunden, alles scheint sich beruhigt zu haben als ich endlich meine Bananen und Getränke aufs Band legen kann. Als der Angestellte kurz weg geht, flippt der Kunde wieder aus und schreit alles zusammen. In Berlin wird es echt nie langweilig, denke ich mir.


Kurze Panik und Heimfahrt

Jetzt gehts zurück zum Auto. Durch die Hektik heute hatte ich schnell etwas Kleingeld in den Parkautomaten geworfen und bin losgerannt. Etwa 4 Euro. In Berlin kostet die halbe Stunde allerdings gefühlt 10 €, ich hatte also etwas Angst einen Strafzettel zu kriegen. Aber Glück gehabt. Mein Auto stand noch da und ein Knöllchen war auch nicht dran. Ich packe meine Sachen ein, parke aus, schaue beim rausfahren in den Rückspiegel und meine Lücke war schon wieder besetzt. Verrückte Stadt. Ich biege ab, so wie ich sonst immer nach Hause fahre und sehe neue dicke Poller mitten auf der Straße. Ok, dann halt wieder zurück und drum herum fahren, um auf meine Heimatroute zu kommen. Überraschung, auch hier standen neue dicke Poller und versperrten den Weg. Also gut, dachte ich mir. Fahre ich halt die Straße zurück wo ich hergekommen bin. Einbahnstraße. Leichte Panik macht sich in mir breit.

Bin ich jetzt für immer in einer Schleife gefangen?

Für immer Berlin? Gefangen in der Matrix, einem Glitch, kein Entkommen? Ich fahre also wieder zurück zum Anfang und siehe da.. die kleine viel zu schmale Kopfsteinpflasterstraße, die ich sonst nie langfahren würde weil die Straße super schlecht einsehbar ist und man leicht Radfahrer übersieht, ist der einzige Ausweg aus dieser Kasperfalle.

Freitag Abend ist die Autobahn schön frei. Der Himmel ist pechschwarz und die Rückfahrt vergeht wie im Flug. Endlich zu Hause. Durchatmen, Sporttasche schnappen, Tür auf und aussteigen wie ein 80 Jähriger. In Zeitlupe und mit viel Geschnaufe und Gestöhne, weil einfach alles weh tut. Sportklamotten in die Wäsche und ab auf die Couch zum runter kommen.


Ein weiterer spannender Ausflug nach Berlin ist vorbei. Morgen wird alles detailliert aufgeschrieben damit ich es bis zum nächsten Privattraining ausgiebig drillen kann!


Bis zum nächsten Mal,

Christian

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